Lawine gefällig? Einige Gedanken zum Coaching

Bildquelle: Pixabay

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Sessel oder Couch: Coach vs. Therapeut?

Leider liest man in vielen vermeintlichen „Fachartikeln“ Aussagen von „Experten“, die folgenden Schluss nahelegen: Haben Sie im Job ein Thema/Problem/Ziel, dann gehen Sie zum Coach. Ist es aber etwas Privates, dann bitte ab zum Therapeuten.

Pustekuchen. Nicht böse sein, aber das ist Quatsch. Natürlich sollte man als Coach (m/w) schon sehr gut wissen, wann eigene Kompetenzen enden und ein Therapeut (m/w) gefragt ist. Tiefsitzende Traumata und echte Neurosen sind beispielsweise deutliche Anzeichen, um die Weiterempfehlung des Klienten (m/w) vom Coaching in Richtung Therapie dringend nahezulegen.

Allerdings heißt „ich würde gerne über ein privates Thema sprechen“ bei weitem nicht, dass ein Coach fehl am Platze wäre. Insbesondere aus Sicht des Systemischen Coachings sollte und kann man die Lebensbereiche Arbeit und Privat nicht strikt voneinander trennen. (Einige schöne Anregungen hierzu gibt das Buch „Work-Life-Bullshit“ von Thomas Vašek.)

Sind Sie eine Insel?

Menschen, die sich verändern wollen, befinden sich meist zugleich in den Systemen "Beruf" und "Privatleben" – und häufig auch noch in weiteren "Untersystemen" (Familie, Freundeskreis, Nachbarn, Sportverein etc.), die sie in beide Richtungen beeinflussen können. Auch lassen sich die Auslöser für Veränderungs- und Entwicklungswünsche selten hundertprozentig voneinander trennen und ausschließlich einem der beiden Bereiche zuordnen. Niemand, wirklich niemand und nichts ist eine Insel und komplett autark.

Häufig geht es beim „privaten“ Coaching um diese Themen oder eine Kombination daraus:

  • Zufrieden im Hier und Jetzt leben

  • Achtsamkeit

  • Perspektivwechsel

  • Glaubenssätze erkennen und Denkmuster durchbrechen

  • Selbstverantwortung statt Opferrolle

  • Umgang mit Kritik und Konflikten

  • Impulskontrolle und das innere Team

  • Vertrauen, loslassen können

  • sich Ängsten stellen und daraus Kraft schöpfen

Darin enthalten sind also auch viele Aspekte, die ebenso im beruflichen Kontext eine Rolle spielen können.

Heilung oder Wandel?

Als Coach hat man nicht die Aufgabe „Krankheiten zu heilen“. Mein persönliches Verständnis ist es jedoch, dass man sehr wirksam die Entfaltung der vielen Potenziale unterstützen kann, die wirklich alle Klienten immer bereits in sich tragen. Oftmals sind diese jedoch hinter einer Vielzahl von gelernten und teilweise durch Eltern, Schule, Medien oder Gesellschaft „anerzogenen“ Hürden und Mauern verborgen. 

Das kann ich nicht“, „das macht man nicht“, „ich muss doch“ sind typische Formulierungen, die sich als Glaubenssätze oft über sehr viele Jahre hinweg fest ins eigene Selbstverständnis eingebrannt haben.

Manchmal können es dann im Coachingprozess vermeintliche „Kleinigkeiten“ sein, die eine erste solche Mauer ins positive Wanken bringen. Häufig kann dadurch eine „Lawine des Guten“ ins Rollen gebracht werden. Wenn das erste „ich kann das nicht“ plötzlich bröckelt, kommt ganz viel Licht in so manche vorab dunkle Ecke und diese Strahlkraft überträgt sich dann oftmals auf viele weitere Bereiche. 

Damit kann das Auflösen oder Umwandeln eines vormals einschränkenden Glaubenssatzes im privaten Teil des Lebens eben auch „erhellend & erleuchtend“ auf Aspekte des Jobs ausstrahlen. Und andersherum.

New Skills: Back to the Future?

Sehr häufig werden beim Coaching gar keine wirklich neuen Fähigkeiten erlernt. Wie in der Metapher mit den Mauern und Hürden schon angedeutet wurde, ist es vielmehr so, dass wir uns dabei auf Ressourcen berufen, die wir früher bereits besessen, dann aber irgendwann und irgendwie vergessen hatten. Die wir als junge Menschen, sehr wahrscheinlich schon als ganz kleine Kinder, einst in uns hatten. Damals haben wir uns allerdings meist nur wenig darum geschert, was andere von uns denken oder ob man irgendetwas „einfach nicht macht, nicht darf, weil’s nun mal so ist“ – oder umgekehrt: „es machen muss, weil es sich eben so gehört“. (Das Goldene Buch, in dem solche Regeln stehen, wurde übrigens bislang noch nicht entdeckt.)

Im Gegensatz zu einer Therapie ist es beim Coaching nicht zwingend erforderlich, dafür immer (zeit-)intensiv in die Vergangenheit zu reisen. Gelegentlich kann es hilfreich sein zurückzuschauen, um bestimmte Verhaltensmuster bei sich selbst oder im eigenen Umfeld zu erkennen. Jedoch ist der Blick dabei stets nach vorne gerichtet. (Daher ist die Zielklärung zu Beginn des Coachings auch so wichtig.)

Ein spannendes Werkzeug hierfür ist die sogenannte „Lösungsorientierte Kurzzeittherapie“ (LOKT, im engl. Original: Solution-focused Brief Therapy, SFBT), die sich zwischen Therapie und Coaching ansiedeln lässt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass es in bestimmten Situationen weitaus hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele und Ressourcen sowie auf Ausnahmen vom Problem des Klienten / der Klientin zu konzentrieren – anstatt auf die Probleme selbst und ihre Entstehung. Es wird also ganz gezielt und lösungsorientiert nach vorne geblickt, nicht zurück in die Vergangenheit.

Weiterhin ist ein zentraler Aspekt bei der LOKT das systemische Verständnis, dass bereits eine geringfügige Verhaltensänderung eines einzelnen Menschen maßgebliche Veränderungen bei allen anderen Beteiligten mit sich bringen kann. Also die vorab genannte „positive Lawine“.

Was spricht dagegen?

Wenn ein Golfspieler seinen Schwung beim Abschlag verändern möchte, kann dies viele weitere positive Auswirkungen haben: Auch kurze Bälle laufen plötzlich besser, der Rücken schmerzt auf einmal weniger, das Handicap sinkt insgesamt. Und ja, dafür wird dann häufig ein Coach engagiert. 

Im Beruf ganz ähnlich: Präsentationen sollen flüssiger laufen und das Publikum mehr begeistern? Die entscheidenden Verkaufsargumente wollen beim Kunden überzeugender formuliert oder Konflikte im Team künftig konstruktiver gelöst werden? Her mit dem Coach.

Und es spricht wenig (eher: gar nichts) dagegen, dass man dasselbe dann auch im privaten Teil des Lebens tut. Sich von viel unnötigem „Gepäck“ befreit, das man bei der „Wanderung durchs eigene Leben“ oft schon seit Jahren mit sich herumträgt. Gleichzeitig ist es bei solch einem Wanderweg sehr hilfreich, wenn man die erforderliche Ausrüstung parat hat und mit ihr umzugehen weiß. 

Links oder rechts herum?

Natürlich ist dieser Artikel ein einziger Werbeblock fürs Coaching. Und das aus gutem Grund: eigene Erfahrung. Ich kann von mir selbst sagen, dass mir Coaching verdammt gut getan hat. Und ich freue mich immer wieder darüber, vieles davon weiterzugeben zu dürfen.

Für mich sind es jedes Mal wirklich heilige Momente (ohne Anführungszeichen), wenn sich ein Klient öffnet, wenn es bei ihr oder ihm „klick“ macht. Wenn die genannten Hürden kleiner werden oder sich Schritt für Schritt auflösen. Wenn man sieht, dass keine Mauer endlos ist und plötzlich merkt, dass man links oder rechts daran vorbeigehen kann – was man früher nie für möglich hielt.

Coaching ist bei weitem kein Zaubermittel. Keine bunte Pille, die man schluckt – und auf einmal haben sich alle Sorgen in Luft aufgelöst. Es ist harte Arbeit.

Der Impuls, sich für eine Veränderung zu engagieren, sich für das eigene Wohlergehen entschieden zu haben, kann und wird bereits eine Menge bewegen.


In diesem Sinne: viel Spaß und Erfolg beim Lebensbereiche-übergreifenden Wandern und Wandel!


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Die oben genannten Anwendungsbeispiele und noch einige Gedanken mehr insbesondere zum „privaten Coaching“ sind hier zu finden: https://www.wenigerundmehr.de/coaching-fuer-private-menschen.

Mehr zu LOKT und verschiedenen weiteren Begriffen, die beim Coaching wichtige Rollen spielen, gibt es hier: https://www.wenigerundmehr.de/glossar.